Bio-Anbau birgt Herausforderungen

Mit dem Verzicht auf chemisch-synthetische Hilfsmittel stellt sich im Bio-Landbau die Frage, wie man die Pflanzen auf natürliche Weise vor Krankheiten und Insektenbefall schützen kann? Fabian Zbinden lässt sich auf dem Räss-Hof zeigen, wie sich diese Herausforderung biologisch lösen lässt.

Der Räss-Hof in Benken (ZH) ist der wichtigste Beeren-Lieferant für die Naturaplan Bio Campiuns.

Im Norden des Kantons Zürich liegt der Räss-Hof, nur etwa 2 Kilometer vom Rheinfall entfernt. Eine Landschaft mit sanft geschwungenen Hügeln, viel Sonne und nährstoffreichen Böden – hier herrschen hervorragende Bedingungen für die Landwirtschaft. Die Brüder sind vor fünf Jahren in den elterlichen Betrieb eingestiegen und für die beiden war schnell klar: Sie stellen den Hof auf Bio um und setzen ganz auf Beeren-Anbau. Dabei sind sie ihren eigenen Interessen gefolgt und haben ein gutes Gespür für Trends bewiesen. Goji-Beeren aus der Schweiz sind eine Seltenheit und mit dem Anbau von Aroniabeeren haben die innovativen Brüder den Zeitgeist getroffen. Denn Aronia gilt aufgrund wertvoller Inhaltsstoffe als Superfood.

Biologische Balance

Aronia-Beeren sind reich an Eisen, Vitaminen und Mineralstoffen. Sie gelten als Superfood aus der Schweiz.

Fast jeder hat Beeren gerne. Das gilt nicht nur für Menschen – auch Tiere finden grossen Gefallen an ihnen. Insekten greifen ihre Blätter und Früchte an. Feldmäuse machen sich mit Vorliebe über das Wurzelwerk her. Da auf einem Bio-Betrieb keine chemisch-synthetischen Hilfsmittel zum Einsatz kommen, setzt man auf die Natur selbst.

In einem gesunden Ökosystem haben einzelne Arten keine Chance, überhandzunehmen – sie leben in einem natürlichen Gleichgewicht. Das ist ein biologisches Prinzip. Wenn diese Balance jedoch durcheinandergebracht wird, können sich bestimmte Tiere oder Pflanzen nahezu ungehemmt ausbreiten. Der Bio-Landbau hat sich diese Erkenntnis zunutze gemacht. Das Schlüsselwort heisst dabei: «Biodiversität». Wenn auf einem Hof eine ausgeglichene, biologische Vielfalt besteht, verringern sich die Probleme für den Bauern. Für alle Betriebe, die für Naturaplan produzieren, gibt es aus diesem Grund verbindliche Massnahmen, die erfüllt werden müssen.

Wie findet dieses Prinzip Anwendung?

Marienkäfer sind willkommene Insekten auf dem Hof. Sie helfen dabei Blattläuse zu bekämpfen.

Konkret bedeutet das auf dem Räss-Hof: Blattläuse saugen Pflanzensaft aus den Blättern der Sträucher und gefährden damit die Beeren. Das schädigt den Beerenstrauch und kann bis zum kompletten Ernteausfall führen. Da Blattläuse in der Landwirtschaft unerwünscht sind, werden sie als «Schädlinge» bezeichnet. Es gibt aber andere Insekten, die sich wiederum von Blattläusen ernähren, wie zum Beispiel Marienkäfer. Marienkäfer sind die natürlichen Feinde dieser Schädlinge und da sie der Landwirtschaft helfen, nennt man sie «Nützlinge».

Headline

Mithilfe von Steinhaufen wird Lebensraum für Nützlinge geschaffen.

Headline

Auf dem Hof gibt es auch Raum für Pflanzen, die keinen direkten Zweck haben.

Headline

Rosen sind nicht nur schön, sie dienen als Warnsystem vor Schädlingen.

Ein attraktives Umfeld für Echsen und Vögel

Hilfreich auf dem Hof sind auch Eidechsen: Sie ernähren sich von pflanzenschädigenden Insekten. Wie also diese Nützlinge fördern? Um Eidechsen anzulocken, wurden von den Bio-Bauern Steinhaufen angelegt– ein beliebter Lebensraum der Reptilien. Mit Asthaufen wiederum haben Simon und Christoph auf dem Hofgelände potenzielle Heimstätten für Igel errichtet. Eine weitere Massnahme: Zwischen den Beerensträuchern wurden von den Brüdern lange Holzstangen aufgestellt – ein idealer Aussichtspunkt für Raubvögel wie Falken und Bussarde, die auf diese Weise optimale Voraussetzungen für die Jagd auf Feldmäuse haben.

Überall Rosen

Auffällig auf dem Hof: die vielen Rosen, die neben den Beerensträuchern ihre duftenden Blütenköpfe zeigen. Ein Glücksbringer? Ein besonderes Hobby? Nein – die Antwort ist pragmatisch: Die edlen Blumen sind bekannt für ihre Schädlingsanfälligkeit. Sie fungieren hier als Indikatoren. Wenn Rosen einen auffälligen Insektenbefall aufweisen, kann schnell etwas unternommen werden, um die Beerensträucher vor einem Befall zu schützen.

Es gibt aber auch Massnahmen, die nicht direkt zum Nutzen der Landwirte sind: Lebensraum für Wildsträucher und Bodendecker hilft ebenfalls dabei grosse Vielfalt zu ermöglichen. Und was manchmal wie vergessene, ungenutzte Wiesen aussieht, sind Ausgleichsflächen, auf der durch willkommenen Wildwuchs viele Gräser und Blumen erblühen können. Das ist gut für die Böden und hilft den Bienen. Sieben Prozent solcher ungenutzter Flächen sind auf Knospe-Betrieben vorgeschrieben, um die Natur zu bereichern. In diesen Vorgaben ist Bio Suisse strenger als die meisten anderen Bio-Labels, wie beispielsweise das EU-Bio Siegel, das keinerlei Biodiversitätsvorgaben an die Betriebe stellt.

Das eine führt zum anderen

Erweiterte Biodiversität: Die seltene Steinnelke fühlt sich auf dem Hofgelände wohl.

Die Biodiversität auf dem Beeren-Betrieb hat sich über die gezielten Massnahmen der Räss-Brüder hinaus längst verselbstständigt. Zum einen wurde Lebensraum für Nützlinge geschaffen, die eine praktische Aufgabe haben. Zum anderen konnte Dank des Engagements der innovativen Bio-Bauern auf dem Betrieb in Benken Lebensraum für Tiere und Pflanzen geschaffen werden, die aufgrund ihres bedrohten Lebensraums selten in der Schweiz anzufinden sind. Ein Beispiel dafür: Hier wachsen mittlerweile die bedrohten Steinnelken. Diese schönen Blumen sind extrem selten und werden in der Schweiz geschützt. Aber auch das Braunkehlchen fühlt sich hier wohl – der Bodenbrüter findet aufgrund der Intensivlandwirtschaft anderenorts kaum noch Nistplätze.

 

Massnahmen für Pflanzen und Tiere im Überblick

Die Aroniabeeren auf dem Hof gedeihen auf natürliche Weise – dank der Massnahmen für ein ausgeglichenes Ökosystem:

  • Mit Massnahmen wie Steinhaufen, Asthaufen und Holzstangen werden nützliche Tiere auf den Betrieb gelockt. Ihre Anwesenheit hilft, die Schädlingspopulation gering zu halten.
    • Randstreifen, Brachflächen, wildes Buschwerk und Bäume erweitern den Pflanzenreichtum auf dem Hof.
      • Der Lebensraum für Tiere und Pflanzen entwickelt eine eigene Dynamik– eine sich verselbständigende Biodiversität entsteht – auch seltene und geschützte Tier- und Pflanzenarten, ohne direkten Nutzen für den Bio-Betrieb, finden einen Rückzugsraum.

      Erfrischend und energiereich

      Eine Bowl mit Cassis, Aronia, Zuchetti, Gurke und Spinat. Eine gesunde Superfood-Kombi, die schnell und einfach zubereitet werden kann.

      Was bedeutet «Biodiversität»?

      Biodiversität, umfasst drei Aspekte, die eng miteinander verzahnt sind: 

      • Die Vielfalt der Lebensräume ist wichtig, um das gesamte Spektrum der Tier- und Pflanzenarten auf dem Planeten zu erhalten. So wie Eisbären in der nördlichen Polarregion zuhause sind und die klimatischen Bedingungen dort fürs Überleben brauchen, benötigen andere Tierarten saubere Gewässer, um sich fortpflanzen zu können. Besonders für Arten, die nur in bestimmten ökologischen Nischen beheimatet sind, ist es wichtig, dass ihr Lebensraum erhalten bleibt.
      • Eine Vielfalt der Arten innerhalb eines Lebensraums ist wichtig, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wenn in einem Ökosystem wie einem Wald, oder einem Moor die Artenvielfalt eingeschränkt wird, kann das ganze Gefüge instabil werden. 
      • Die genetische Vielfalt zeigt sich im Reichtum des Erbguts innerhalb einer Art. Je grösser das Spektrum an Erbmaterial ist, umso besser kann sich eine Art an die Veränderung von Umweltbedingungen anpassen, oder Widerstandfähigkeiten gegen Krankheiten entwickeln.

      Mit dem Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide ermöglicht der Bio-Landbau mehr Lebensraum für Tiere und Pflanzen, als der intensive, konventionelle Landbau. Das Schaffen einer möglichst grossen Biodiversität ist Bio Suisse und Coop ein wichtiges Anliegen.